Von Vättis nach Reichenau
Marschzeit 4h
Strecke 14.4 km auf 631 m ab 977 m
Karte/n 1:50'000 284T
Anforderung:
Der Übergang spielte bereits zur Römerzeit eine nicht unwichtige Rolle und diente später als Ausweichroute, falls das Rheintal wegen Hochwasser hätte gesperrt werden müssen. Ausserdem konnten auf dieser Route die ungeliebten Strassen- und Brückenzölle umgangen werden (wie heute die LSVA). Ausgebaut wurde das durchgehende Strässchen im ersten Weltkrieg als Zugang zu den vielen Maiensässen und Alpen.
Ich starte in Vättis beim Zusammenfluss von Tamina und Görbsbach. Lange Zeit spielte hier der Viehhandel eine bedeutende Rolle. Dieser wurde jedoch durch verschiedene Gewerbebetriebe und einen sanften, fast zaghaften, Tourismus abgelöst.
Der Wanderweg folgt dem Lauf des Görbsbaches und gewinnt langsam an Höhe. Ab der Kantonsgrenze zwischen SG und GR besteht auf dem Strässchen ein Fahrverbot für Motorfahrzeuge. Nach knappen zwei Stunden gemütlichen Wanderns erreiche ich den Gasthof Eggwald, in dem ich mich gut und währschaft verpflegen kann, wenn der Zeitplan passt. Ab und zu winken uns unterwegs ein paar freundliche Menschen aus ihren gepflegten Gärtchen. Die Siedlung Kunkels ist flächenmässig recht gross, aber die verstreuten Ferien- und Wohnhäuser lassen kein eigentliches Dorf erkennen.
Nach ein paar engen Kehren und Schlenkern der Strasse gelange ich zur Passhöhe mit dem heimeligen Restaurant Überuf. Auf der anderen Strassenseite gibt aber auch eine Grillstelle und einen besonders originellen Brunnen aus etwa zehn treppenartig an- und aufeinander gereihten hohlen Baumstämmen. Das Wasser ergiesst sich von einem Trog in den nächsten und erst wenn es auch durch den untersten hindurch geflossen ist, darf es im Boden versickern.
Auf der Südseite erwartet mich ein grob gehauener, schmaler Tunnel mit Gucklöchern. Durch diese kann man den Verlauf des Weges durch den Wald sehr gut erkennen. Sie wurden aber gemacht, um das Ausbruchgestein in die Tiefe zu werfen. Der Weg macht weite Kehren und führt mich nach Tamins. Das Dorf macht einen sehr urtümlichen Eindruck mit seinen ineinander geschachtelten Gebäuden. Die meisten Ställe im Untergeschoss der Häuser wurden jedoch in den letzten Jahren für andere Zwecke umgenutzt.
Unter der Oberalpstrasse hindurch erreiche ich Reichenau mit dem stattlichen Schloss und den weit ausladenden ehemaligen Stallungen. Hier wurden in der Zeit der Pferdefuhrwerke die Tiere gewechselt und Güter umgeschlagen. Von der Brücke hoch über den Rhein, sehe ich die beiden Arme, den Hinter- und den Vorderrhein, die hier frontal aufeinander zu fliessen und sich vereinigen, um als Rhein weiter zu fliessen Richtung Bodensee. Schliesslich gelange ich zur Bahnstation Reichenau.
Das Kloster Reichenau besass zur Zeit der Karolinger, also im 9. Jahrhundert grosse Ländereien weitherum, so auch im Rheintal. Deshalb wurde der Ort am Zusammenfluss der beiden Rheinarme, dem Hinter- und dem Vorderrhein, auch Reichenau benannt. Dieses Herrschergeschlecht der westgermanischen Franken besass in Frankreich ab 751 die Königsrechte. Alle im Allgemeinen bekannten karolingischen Herrscher stamm- Teen vom wohl berühmtesten Vertreter Karl dem Grossen ab. Das Geschlecht starb jedoch im Ostfrankreich im Jahre 911 aus und im Westen etwas später.
Im 14. Jahrhundert nahm der Verkehr über die Bündner Alpenpässe deutlich zu. Grund war in erster Linie der Handel. Der Tourismus spielte damals eine eher untergeordnete Rolle. Anfangs teilten sich die Wege bei Domat/Ems, später wurden bei Reichenau zwei Brücken gebaut. Das war bautechnisch zwar anspruchsvoller und teurer, verkehrstechnisch jedoch sinnvoller. An dieser Stelle liess sich der gesamte Verkehr, also der südliche Ast durch das Domleschg zum San Bernardino, sowie der nördliche durch die Surselva zum Lukmanierpass kontrollieren. Die grosszügig geratene Zollstelle umfasste auch beeindruckende Stallungen für den notwenigen Pferdewechsel.
Weitere Gebäude entstanden an diesem Ort erst hundert Jahre später, als die Herren von Schauenstein ihren Lebensmittelpunkt vom Heinzenberg ob Thusis ins prosperierende Reichenau verlegten. Der heutige Baubestand des Schlosses geht auf die Ausbauten des 18. und 19. Jahrhunderts zurück. In dieser Jahrhundertwende wurde Reichenau an ein privates Konsortium verkauft, das die vorher in Jenins beheimatete Erziehungsanstalt in die Räume des Schlosses gezügelt. Leiter dieser Schule waren Lehrer aus Magdeburg. Der aus Frankreich vor der Revolution geflohene Herzog von Chartres erteilte hier unter einem bürgerlichen Pseudonym Französisch-Unterricht.
Nach der Schliessung des Instituts zog der französische Gesandte Guyot ins Schloss ein und gründete mit dem ehemaligen Schulleiter Zschokke die Partei der Patrioten. Sie bekämpften den durch die Familie Salis und Österreichs vorangetriebenen Anschluss Graubündens an die Schweiz